Ist der Islam ein Monotheismus?

Nein, das ist er entgegen allgemeiner Behauptung nicht! Zumindest nicht nach dem Credo der bei weitem überwiegenden Zahl der Muslime, für das Autoritäten stehen wie Aḥmad ibn Ḥanbal (+ 855), das Haupt einer der vier kanonischen Rechtsschulen, und Abu l-Ḥasan al-Aš‘arī (+ 935), der Theologe mit der wohl größten Nachwirkung im sunnitischen Islam. Nach diesem Credo ist der Koran nicht nur ewig, sondern vor allem unerschaffen (arabisch: ġayr mahlūq). Was genau unter dem Namen „Koran“ unerschaffen sein soll, etwa jene „wohlverwahrten Tafeln“ des Korans im Himmel (arabisch: lauḥ maḥfūẓ, Koran 85,22) oder – wie Ibn Ḥanbal einschärfte – sogar die arabische Aussprache seines irdischen Vortrags, ist hierbei gleichgültig. Jedenfalls bekennt dieses Credo ein unerschaffenes (im philosophischen Fachbegriff: nicht kontingentes) Wesen, das nicht Allah ist, mithin ein zweiter Gott.

Diesen Vorwurf hatte die Philosophen- und Theologenschule der Mu‘taziliten im 9. Jahrhundert ihren Gegnern auch tatsächlich und zu Recht gemacht. Nach kurzer Zeit der Verfolgung durch die Inquisition (arabisch: miḥna) des Kalifen Al-Ma’mūn (+ 833) errangen aber letztere unter Führung von al-Aš‘arī einen vollständigen Sieg über die nunmehr als Häretiker verurteilten Mu‘taziliten. Sie machten geltend, der Koran sei nicht erschaffen (arabisch: mahlūq), weil er Wort Allahs und damit wie jedes Attribut Allahs zugleich mit ihm unerschaffen und ewig sei. Natürlich kann aus vielen Gründen der Koran nicht, so wie etwa die Gerechtigkeit, als Attribut Gottes gedacht werden. Man versuche nur einmal, einen Satz wie „Gott ist gerecht“ mit einem Attribut „Koran“ oder „koranisch“ nachzubilden!

Vor allem aber führt diese Art theologischer Begründung zwangsläufig auf einen dritten Gott: Jesus ist dem Koran zufolge „das Wort Allahs“ (Koran 4,171: „der Bote Gottes und sein Wort“, arabisch: rasūlu llāhi wa kalimatuhu, also nicht etwa nur „ein Wort Allahs“). Nach der Logik der Asch‘ariten muß er damit unerschaffen, mithin ein (dritter) Gott sein, wenngleich diese das ausdrücklich abstreiten.

Wer einmal Einblick genommen hat in die islamische Polemik gegen das Christentum, kennt deren Masche, die Darlegung der Heiligsten Dreifaltigkeit als eines Gottes für Wortgeklingel abzutun. Es besteht keine Notwendigkeit, sich in dieser Weise vorführen zu lassen: Das asch‘aritische Credo der weit überwiegenden Zahl der Muslime jedenfalls kennt zwar keine Dreifaltigkeit, dafür aber zweifellos drei Götter – auch wenn es Koran und Jesus Christus nicht wortwörtlich so nennt.

Christoph Heger