gelesen
Johannes Thomas
Geschichtsbilder
Karl-Heinz Ohlig/Gerd R. Puin (Hg.): Die dunklen Anfänge.
Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam.
Verlag Hans Schiler,
Berlin 2005,
406 Seiten, 58,00 Euro.
Die
Lebensgeschichte des Propheten Mohammed,
die Entstehung des Koran und die frühe Geschichte des
Islam werden in weiten Teilen der islamwissenschaftlichen Literatur auf der
Grundlage von schriftlichen Zeugnissen des neunten und zehnten Jahrhunderts
dargestellt. Nach Tilman Nagel, dem bekannten Göttinger Arabisten
und Islamwissenschaftler, ist für weite Teile der ,,Gläubigen“ gar das Buch der
Heilung mittels Kundgabe der Rechte des Erwählten von Ijâd al-Jahsubi[1]
aus dem zwölften Jahrhundert das entscheidende Referenzwerk (Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 11. Mai 2006). Man stützt sich in der islamischen Welt
mit der größten Selbstverständlichkeit auf Erzählungen, die mehr als 200, ja,
500 Jahre nach dem Tode des Propheten entstanden sind, ohne deren
Glaubwürdigkeit infrage zu stellen. Die Zuverlässigkeit
der Überbrückung dieser Jahrhunderte wird mit der Zuverlässigkeit mündlicher
Tradition erklärt, ein für die Historiografie der
Moderne erstaunliches Verhalten.
Koranvarianten
Ähnlich
erstaunlich ist die Tatsache, dass es bis heute keine
kritische Koranedition gibt und der in Gebrauch befindliche, 1924 in Kairo
erstellte Korantext weithin mit dem Text gleichgesetzt wird, den Gott dem des
Lesens und Schreibens nicht mächtigen Propheten durch den Engel Gabriel offenbart habe. Dabei ist längst
bekannt, dass die im Laufe der Zeit aufgetauchten
Korantexte eine Vielzahl von Varianten aufweisen. So hat, um nur ein Beispiel
zu nennen, Arthur Jeffery (Materials
for the History
of the Qur'an, New York
1937) allein zwischen den Koran-Texten von Ubayy Ibn Ka’b, Ibn Mas’ûd, Abû Mûsâ und Zaid Ibn Thabit zirka 15 000 Varianten
gezählt.
Historische Textkritik
Die
deutsche Islamwissenschaft hat ihren noch bis zum Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts gepflegten kritisch-philologischen Umgang mit den Texten der islamischen
Tradition vielfach aufgegeben. Deshalb ist es umso
verdienstvoller, dass jetzt der Saarbrücker
Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig zusammen mit dem ebenfalls
in Saarbrücken arbeitenden Islamwissenschaftler und Experten für alte arabische
Handschriften, Gerd-R.
Puin,
einen Sammelband zu den ,,dunklen Anfängen" des Islam vorgelegt hat, in
dem neben den Herausgebern neun weitere Forscher aus Frankreich, Italien,
Deutschland und den USA sich bemühen, die empirisch fassbaren
Zeugnisse des siebten und achten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung in
ihren ursprünglichen Bedeutungszusammenhang zu stellen.
Der
Orientalist und Numismatiker Volker
Popp schließt in seinem nicht nur
vom Umfang her gewichtigsten Beitrag methodologisch an Yehuda D. Nevo und Judith Koren (Methodological Approaches
to Islamic Studies, Der
Islam 68,1991, Seiten 87-107) an, das heißt, Texte werden quellenkritisch
betrachtet, auch die nicht-arabische Literatur der Zeit wird berücksichtigt,
und vor allem werden die materiellen Überreste der Zeit, numismatische und
archäologische Befunde ebenso wie Inschriften, in ihrer faktischen
Beschaffenheit ernst genommen und nicht aus der Perspektive Jahrhunderte später
geschriebener Erzählungen umgedeutet. So gelingt eine auf nachvollziehbarer empirischer
Grundlage basierende Neuschreibung der Geschichte der Umayyaden-Herrscher,
genauer des Hauses Mu'awiya
und des Hauses al-Malik.
Christliche Einflüsse
Anhand
einer mit einem vorangestellten Kreuz geschmückten Inschrift in Gadera, wo der erste ,,islamische" Herrscher in
Damaskus, Mu'awiya,
römische Bäder restaurieren ließ und das Datum nach verschiedenen
Zeitrechnungen aufgeführt wurde, lässt sich
feststellen, dass die arabische Datierung (Jahr 42
nach den Arabern, also 664) nicht der islamischen Zählung nach der Hidschra des Propheten (seiner ,,Auswanderung" von
Mekka nach Medina, angeblich 622), sondern dem auf das Jahr 622 zu datierenden
Sieg des byzantinischen Kaisers Herakleios über die Perser folgt und nach Sonnen-,
nicht nach Mondjahren berechnet ist. Das machte deshalb Sinn, weil mit diesem
Sieg die Selbstherrschaft der christlichen Araber begann. Die Jahrhunderte
später geschriebenen Historienerzählungen von al-Tabari
und anderen waren eben noch nicht bekannt. Gleichwohl bemühen sich islamische,
aber auch nicht islamische Numismatiker, mit viel Fantasie die Datierungen auf
den vorliegenden Münzen im Sinne der Literatur umzudeuten. Das gilt auch für
die Deutung der übrigen Münzinschriften.
Mu'awiya hatte Damaskus als seinen Sitz gewählt, weil jede
Herrschaft sich selbstverständlich religiös zu legitimieren hatte und sich in
Damaskus das Heiligtum von Johannes
dem Täufer mit seiner Kopfreliquie befand, als deren Beschützer
sich Mu'awiya
ausweisen konnte. Deshalb kann es auch nicht verwundern, dass
der Täufer auf Münzen auftaucht, ebenso wie sein Attribut, das ,,Lamm
Gottes", das dann in der legendengläubigen Literatur als rätselhaftes „Quadruped weginterpretiert wird. Wegen der gleichen
Gläubigkeit gegenüber den späteren Legenden werden auch Schilderungen der ,,Umayyaden" als Christen durch nicht muslimische
Zeitgenossen (etwa Theophanes
oder jenen bretonischen Bischof, der im siebten Jahrhundert auf dem Weg nach
Jerusalem bei Mu'awiya
in Damaskus Station machte) ignoriert oder als antiislamische Propaganda
verworfen.
Der
angeblich islamische Kalif `Abd-al-Malik,
der zu seiner Zeit nie als Kalif (ein Wort, das aus dem Syrischen stammt und
,,Stellvertreter" heißt) aufgetreten ist, weil dieses Amt für ihn Jesus vorbehalten war, hat dann in christologischer Konkurrenz zu Byzanz und in der Tradition
des vornizänischen arabischen Christentums Jesus als Knecht Gottes (abd Allah) und als Gepriesener oder
Erwählter, als ,,muhammad" (muhammad/un) ist noch kein Eigenname) zu seinem religiösen Propagandathema
bei der Gründung eines neuen Zion, des ,,wahren Jerusalem", bestimmt. Er
sah sich selbst als neuen David, der deshalb nicht nur seinen Sohn ,,Suleyman",
also ,,Salomon" nannte und
auf seinen Münzen das neue staatsreligiöse Symbol des Steines aus dem Alten
Testament (in der aramäischen Sprache Labans Yegar
sahaduta, in der hebräischen Sprache Jakobs Beth-El) anbrachte, sondern auch den Felsendom in
Jerusalem nach dem Vorbild des salomonischen Tempels errichtete. In dessen
Inschriften ist mit mohammad/un denn auch nicht, wie traditionell (spätestens seit
dem neunten Jahrhundert mit al-Mamun) behauptet wird, eine
Person mit dem Eigennamen Mohammed
gemeint, sondern Jesus, der
Gesandte Gottes, der auf der inneren Fassade des Oktogons im Ubrigen ganz deutlich angesprochen wird als ,,dein Apostel
und Gottesknecht, Jesus, Sohn der Maria".
Neue sprachliche Erkenntnisse
Bestätigt
wird diese Analyse durch die sich in dem besprochenen Band anschließende
akribische philologische Studie von Christoph
Luxenberg
(Pseudonym). Luxenberg
hat im Ihrigen mit seiner bahnbrechenden Untersuchung Die syrisch-aramäische
Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache (Berlin
2004) weltweit, nur nicht in Deutschland, Aufmerksamkeit erregt. Gemäß dieser
bislang nicht widerlegten Analyse erweisen sich etwa jene großäugigen, immer
jungfräulichen Gespielinnen, die ,,Huris“ aus dem koranischen Paradies, auf deren Gesellschaft nicht wenige
Selbstmordattentäter hoffen, als ,,weiße Weintrauben" von ,,kristallener Klarheit",
eine Paradiesesvorstellung, für die es nicht nur syrische Textbelege gibt,
sondern inzwischen auch ikonografische Zeugnisse. (vgl. www.christoph-heger.de/Note-on-the-Huris.htm). Konsequenterweise
lässt Ibn Warraq (Pseudonym) denn auch seinen Überblick über
die wichtigsten Entwicklungen der historisch-kritischen Forschung zum Koran
seit dem neunzehnten Jahrhundert in Luxenbergs Untersuchung gipfeln, die endlich Klarheit
in viele bis dahin allgemein als dunkel geltende Koran-Passus gebracht hat.
Die
Entschlüsselung der Koransprache durch Rückgriff auf syrischaramäische Vorlagen
erfährt eine weitere Unterstützung durch Claude
Gilliot,
der feststellt, dass es sich bei den in der
islamischen Tradition benannten ,,Gewährsmännern" des Propheten durchweg um
Juden und Christen gehandelt hat, die des Aramäischen mächtig waren. Dass es überhaupt eine Reihe von Texten gegeben hat, die
erst allmählich in die spätere Fassung des Qur'an
Eingang gefunden haben, stellt Alfred-Louis de
Premare
auch anhand von Schriften des Propheten heraus, die in der ersten Hälfte des
achten Jahrhunderts nach christlichen wie muslimischen Berichten noch nicht
Bestandteil des Koran gewesen sind, also dessen definitive Komposition auf eine
spätere Zeit zu datieren zwingen.
Ähnlich
wie der Qur'an ist auch das klassische Arabisch das
Ergebnis eines langwierigen Entwicklungsprozesses und nicht selbst
Ausgangspunkt für alle späteren Entwicklungen, erläutert Pierre Larcher, der damit in die
Fußstapfen von Heinrich Leberecht Fleischer tritt, der schon 1854 meinte: „Die Frage ist für
uns nicht: was ist das reinste, correcteste und
schönste, sondern was ist überhaupt Arabisch?" Genaueres über diesen Sprachwerdungsprozess erfährt man bei Sergio Noya Noseda, der unter anderem die Adaptationvon Buchstaben des syrischen Alphabetes – von dem
man auch die Praxis der diakritischen Punkte übernimmt – an die entstehende
arabische Schrift belegt. Alba Fedeli zeigt
schließlich ,,Early
Evidences of Variant Readings in Qur'anic
Manuscripts" auf, und Gerd-R.
Puin geht vorislamischen Namen von Völkern und Ortschaften im
Koran nach (Seiten 317 bis 340). Zusätzliche philologische Belege zur Stützung
der syro-aramäischen Lesart von Luxenberg trägt Mondher Sfar vor,
bevor er sich in einem zweiten Teil seines Beitrages der Frage nach dem
Verhältnis von mohammedanischer Offenbarung und islamischem Rechtssystem
zuwendet, das vielfach im Widerspruch zu eben dieser Offenbarung stehe.
Abschließend gibt Karl-Heinz Ohlig einen Überblick zur
Thematik „Das syrische und arabische Christentum und der Koran" und stellt
heraus, dass neben den Passagen im Koran, die auf ein
frühsyrisch-arabisches Christentum verweisen, auch Ansätze nachweisbar sind,
die eine andere Religion, den ,,Islam", spiegeln und wohl dem Ende des
achten oder dem frühen neunten Jahrhundert zugerechnet werden müssen.
Problematisch
für alle weitere historischkritische Beschäftigung mit dem Koran bleibt, dass dessen erste Ganzschrift aus dem späteren neunten
Jahrhundert stammt und frühere, meist fragmentarische Versionen (so es sich
denn überhaupt um Fragmente handelt) weder adäquat publiziert noch gar
textkritisch untersucht worden sind. Hier hätte die Islamwissenschaft ein
weites, fruchtbares Feld zu bearbeiten. Man kann daher Tilman Nagel nur zustimmen,
wenn er an oben angegebener Stelle mit der Klage zitiert wird: ,,Seit Jahren
entsetzt und verbittert mich die mangelnde Bereitschaft zu einer ernsthaften
und das heißt arbeitsreichen Auseinandersetzung mit islamischem Denken und
islamischer Kultur."
Erneuerung des
Koranverständnisses
,,Ich unterscheide hier scharf zwischen Korantext und späterer
Koranexegese, denn der Korantext ist etwas anderes als die spätere
Koranexegese. Unverständnis hat dazu geführt; die Stellen extremistisch zu
interpretieren. Ich habe die Hoffnung, ja sogar die Zuversicht, dass man mit einer vernünftigen, also richtig verstandenen
Lesart des Koran Anhänger heutiger extremistischer Auslegungen, wie sie zum
Beispiel in der Interpretation in Bezug auf den Begriff der ‚Ungläubigen’ zum
Ausdruck kommen, zum Einlenken bewegen kann, dass man
sie zur Einsicht bringt. Es mag vielleicht tragisch klingen, dass es manchmal Jahrhunderte dauert, bis man der Wahrheit
einige Schritte näher kommt, und es ist gewiss eine
wichtige, eine verantwortungsvolle Aufgabe, so viele Menschen neu
aufzuklären."
Christoph Luxenberg
in Streit um den Koran, hg. von Christoph
Burgmer,
Verlag Hans Schiler,
Berlin 2005, Seite 28.
[1] ابو
الفضل عيّاض بن
موسى بن عياض اليحصوبي٫
الشفاء بتعريف
حقوق المصطفى
(al-šifâ‘ bi-ta’rîf huqûq al-mustafâ), ein als autoritativ geltendes Werk über Traditionsberichte vom Propheten Mohammed, das islamische Gesetz und die Pflichten eines Muslims (Anm. Ch.H).